Was ist Schematherapie? Hinderliche Muster erkennen und neue Wege finden

Interview mit Ann-Cathrin Woltersdorf

Was ist Schematherapie – wie würdest du sie jemandem erklären, der keine therapeutische Ausbildung hat?

Wiederkehrende problematische Verhaltensmuster, Schwierigkeiten und unangenehme Gefühle werden vor dem Hintergrund biographischer Erfahrungen verstanden. Diese biographischen Erfahrungen sind meist schmerzhaft und sehr prägend. Sie sorgen dafür, dass Menschen sich im Hier und Jetzt unbewusst nach „alten Regeln“ verhalten, welche ungünstig sind. Oft führen sie dazu, dass Belastungen wie Erschöpfung, Überforderung und in manchen Fällen auch Erkrankungen, beispielweise depressive Symptome, entstehen. Ziel der Schematherapie ist es, gemeinsam die hinderlichen Muster vor dem Hintergrund der biographischen Erfahrungen zu verstehen, zu erkennen und gesunde Auswege zu finden.  

Was unterscheidet die Schematherapie von anderen Therapieformen? Was sind die größten Stärken der Schematherapie?

Die größten Stärken sind aus meiner Sicht, dass es nicht nur um das kognitive Verstehen geht, sondern um eine emotionale Veränderung. Die Schematherapie und auch das Schemacoaching versteht sich als emotionsfokussierte Methode. Oft haben wir das Gefühl, dass wir etwas kognitiv schon verstanden haben, aber unser Gefühl „nicht hinterherkommt“. Hierbei können die Methoden der Schematherapie unterstützen.

Was genau sind „Schemata“ – und wie entwickeln sie sich im Laufe des Lebens? 

Der Entwickler der Schematherapie, Jeffrey Young, beschreibt Schemata als biografisch begründete, das heißt früh angelegte, verankerte Reaktionsbereitschaften. Das bedeutet, wir alle haben diese Schemata. Wird ein Schema aktiviert, führt das zu emotionalen Reaktionen, die ähnlich intensiv sind wie kindliche Emotionen zur Entstehungszeit des Schemas. Wir alle haben funktionale, also gesunde und „sich gut anfühlende“ Schemata, die positive Emotionen herbeiführen und auch welche, die wir als „dysfunktional“ beschreiben würden, also als weniger hilfreich, als unangenehm. Diese sorgen für unangenehme Gefühle. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn ich in meiner Biografie als Kind zum Beispiel schmerzhafte Erfahrung – sagen wir im Kindergarten – mit ausgeschlossen werden oder nicht mitspielen dürfen gemacht habe, dann merkt sich das mein emotionales Netzwerk. Wenn ich heute dann im Job den Eindruck bekomme, dass Kolleg:innen mich nicht integrieren, oder ich nicht so dazu gehöre, oder mich aus Arbeitsprozessen ausgeschlossen fühle, dann kann das in mir diese alten Gefühle von früher aktivieren und ich verhalte mich auch entsprechend, beispielsweise mit Rückzug und Abstand. Alternativ könnte es aber helfen, auf die Kolleg:innen zuzugehen, mich sichtbarer zu machen etc., um mich integriert und dazugehörig zu fühlen.

Bei welchen Themen, Problemen oder Herausforderungen wird Schematherapie besonders häufig eingesetzt? Gibt es bestimmte Menschen oder Zielgruppen, für die die Schematherapie besonders gut geeignet ist?

Ursprünglich wird die Schematherapie vor allem bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen angewandt, die Schwierigkeiten in der Interaktion mit anderen haben. Aber auch bei Menschen mit chronischen, psychischen Erkrankungen. Mittlerweile ist das Anwendungsspektrum breiter geworden: Schemakurzzeittherapie, Schemaberatung sowie Schemacoaching setzen den Fokus verstärkt auf intensive Ressourcenarbeit und richten sich an Menschen, welche sich punktuell Unterstützung beim Verstehen und Verändern zum Beispiel von Konflikten oder störenden, wiederholenden Verhaltensmustern wünschen. Auch hier kommen neben dem kognitiven Verstehen ebenfalls Methoden zu Anwendung, die sich mit Emotionen beschäftigen.

Lassen sich Elemente der Schematherapie auch im Coaching oder in der Beratung nutzen? Wenn ja, was ist zu beachten?

Auf jeden Fall! Es gibt bereits Konzepte für die Schemaberatung und das Schemacoaching. Das Modell, dass wir in der Schematherapie verwenden, um uns und unsere Gefühle, Gedanken und wiederkehrenden Verhaltensmuster, auch „Bewältigungsstrategien“ genannt, bewusst zu machen, kann man sich in der Beratung und im Coaching zunutze machen. Ein Unterschied ist sicher, dass wir bei der Schemaberatung und dem Schemacoaching deutlich mehr den Fous darauflegen würden, bereits vorhanden Ressourcen zu fokussieren und zu aktivieren. Und das nicht nur „kognitiv“, sondern auch mithilfe von Ressourcenimaginationen, von emotionaler Aktivierung, was einen deutlich größeren und nachhaltigeren Effekt hat. Dafür offen zu sein ist sicherlich eine Voraussetzung. Darüber hinaus ist hilfreich für den Prozess, dass der Blick in prägende biografische Erfahrungen nicht gescheut wird. Auch wenn wir in der Schemaberatung oder im Coaching dort nicht „verharren“.

Was erleben Patient:innen bzw. Klient:innen oft als besonders hilfreich oder bewegend in der schematherapeutischen Arbeit?

Das Modell, dass wir in der Schematherapie- und Beratung verwenden, wird häufig als sehr entlastend empfunden, da es viel erklärt und dabei hilft, sich zu verstehen. Die Imaginationen und generell die emotionsfokussierten Methoden werden als hilfreich und sehr wirksam erlebt, auch wenn es häufig zu Beginn ungewohnt und „neues Terrain“ bedeutet.

Was begeistert dich persönlich an der Schematherapie?

Definitiv das Arbeiten mit Emotionen, und dass es sich wirklich lohnt, „mehr zu fühlen“ und sich „mehr mitzubekommen“ und sich zu verstehen. Auch wenn es zunächst manchmal Unbehagen oder auch Angst macht „mehr zu fühlen“, ist es immer wieder total schön mitzuerleben, wie mutig meine Patient:innen und Klient:innen werden und wie selbstwirksam und gesund sie dann mit sich und ihren inneren Zuständen umgehen.   

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